BP Nr2
03. Februar 2014

Rallye-Wintermärchen im verschneiten Värmland

Die Neueinsteiger: Hyundai Motorsport ließ mit dem Michelin bereiften i20 WRC bei der Rallye Monte Carlo viel Potenzial aufblitzen – Thierry Neuville und Juho Hänninen teilen sich in Schweden die beiden koreanischen Turbo-Allradler.

Klirrende Kälte, eisglatte Pisten, rasante Geschwindigkeiten und nicht enden wollende Drifteinlagen durch dichte Wälder: Wenn die besten Rallye-Piloten der Welt jeweils im Februar des Jahres Station in Schweden machen, dann steht einer der faszinierendsten WM-Läufe der Saison auf dem Programm. Dabei wirken der Speed und die Präzision, mit der die Fahrer ihre rund 300 PS starken World Rally Cars durch die weißen Schneekanäle feuern, auf Außenstehende fast schon surreal. Eines der Geheimnisse hinter dieser begeisternden Fahrzeugkontrolle trägt jedoch einen prominenten Namen: Michelin. Praktisch alle Topteams setzen in diesem Jahr auf die X-Ice North 2-Spikereifen der französischen Premiummarke. Die krallen sich mit 384 Nägeln pro Pneu in den Untergrund und bieten den Lenkradakrobaten ausdauernd den gewünschten Grip.

Ein halbes Jahrhundert galt die winterliche Rallye Schweden, erstmals ausgetragen 1950, als uneinnehmbare Festung der skandinavischen Schnee- und Eisexperten. 2004 geschah dann der Sündenfall: Ein Kontinental-Europäer drang in die Phalanx der Waldegårds, Blomqvists, Mikkolas, Mäkinens und Grönholms ein. Sein Name: Sébastien Loeb. Im Vorjahr mussten sich die Nordmänner ein zweites Mal geschlagen geben, und wieder kam der freche Eindringling aus Frankreich und hieß mit Vornamen Sébastien – VW Polo R WRC-Pilot Sébastien Ogier legte rund um Karlstad mit seinem ersten Saisonsieg den Grundstein für den WM-Titel.

Über einen anderen französischen Seriensieger wundert sich beim "Grand Prix von Schweden" kaum noch jemand: Michelin kann auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte bei diesem WM-Lauf zurückblicken. Seit 1979, dem offiziellen Beginn der Fahrer-Weltmeisterschaft, holten sich nicht weniger als 23 Fahrer auf Reifen aus Clermont-Ferrand den Sieg im Winter-Wunderland, zwei weitere Erfolge errang Ford Focus-Pilot Marcus Grönholm auf Reifen der Konzernmarke BFGoodrich. Der Finne ist damit noch vor Tommi Mäkinen erfolgreichster Partner der Michelin Gruppe in Schweden, während Peugeot mit sechs ersten Plätzen die entsprechende Liste bei den Herstellern anführt.

Auch dank der verwegenen Fahrkunst ihrer Piloten zählen in diesem Jahr die Partnerteams des Reifenspezialisten wieder zu den aussichtsreichsten Anwärtern auf den Gesamtsieg. Verantwortlich hierfür ist der neu entwickelte Winterreifen X-Ice North 2. Er zeichnet sich durch jeweils 384 Spikes aus, die sich gleichmäßig über das laufrichtungsgebundene Profil des 195 Millimeter breiten 15-Zoll-Pneus verteilen. Was für Außenstehende aussieht wie ein profaner Nagel, ist tatsächlich das Resultat intensiver Forschung und Weiterentwicklung. Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur die Form der gut vier Gramm leichten Stifte. Auch das Material, aus dem sie gefertigt werden, sowie die Art und Weise ihrer Verankerung innerhalb des Reifens zählen zu den gut gehüteten Geheimnissen der Rallye-Experten von Michelin.

Das Reglement besagt: 20 Millimeter dürfen die Spikes für die Rallye Schweden insgesamt lang sein. Je weiter sie aus dem Profil herausragen, desto mehr Halt bieten sie auf Schnee und Eis – umso früher knicken sie aber auch unter dem Gewicht der insgesamt 1.350 Kilogramm schweren Turbo-Allradler ein. Oder sie werden herausgerissen, wenn bei Temperaturen um den Gefrierpunkt erste Schotterspuren durch die Fahrspuren brechen. Zugleich müssen die Spikes wahre Steherqualitäten entwickeln und bis zu 72 Wertungsprüfungs-Kilometer überstehen. Michelin hat sich bei der Neuentwicklung des X-Ice North 2 übrigens für einen Überstand von 6,5 Millimeter entschieden, 0,5 mm weniger als noch beim Vorgänger.

Zweiter wichtiger Aspekt des französischen Winterspezialisten ist das Laufflächendesign. Wird es sehr offen gestaltet, also mit einem hohen Anteil an sogenanntem "Negativprofil", findet es auf losem Schnee besonders guten Halt. Die vergleichsweise freistehenden Profilblöcke wirken sich normalerweise aber nachteilig auf die Lenkpräzision und Richtungsstabilität bei hohen Geschwindigkeiten aus. Zudem sind sie anfälliger für Beschädigungen von außen, wenn die Rallye-Profis für die schnellste Ideallinie den Kurvenverlauf etwas großzügiger interpretieren. Auch hier haben die Experten von Michelin innovative Lösungen gefunden, um eigentlich widersprüchliche Anforderungen unter einen Hut zu bringen – und dabei zahlreiche Erkenntnisse gewonnen, die am Ende wieder den Serienreifen zugute kommen.

Die Favoritenrolle bei der Rallye Schweden hat sich Volkswagen Motorsport hart verdient: Gleich im ersten Jahr des Polo R WRC fuhr das Werksteam aus Hannover im Värmland und dem benachbarten Norwegen auf Reifen von Michelin zu einem viel beachteten Sieg und am Ende zur verdienten WM-Krone. Nach seinem souveränen Auftritt beim Saisonauftakt oberhalb von Monte Carlo will sich Titelverteidiger Sébastien Ogier auch in Karlstad nicht die Köttbullar vom Knäckebröd nehmen lassen. Doch der aktuell vor Selbstbewusstsein nur so strotzende neue Rallye-Superstar trifft speziell hausintern auf schnelle Konkurrenz – zum Beispiel in Form von Jari-Matti Latvala: Der Finne hat den schwedischen Klassiker 2008 und 2012 für sich entschieden und brennt nur darauf, die Ehre der Skandinavier in den schnel len Schneekanälen wieder herzustellen. Gleiches gilt übrigens auch für Volkswagen-Junior Andreas Mikkelsen, der speziell am Rallye-Donnerstag – wenn einige der Wertungsprüfungen (WP) durch seine norwegische Heimat führen – sein Talent unter Beweis stellen will.

Als Anwärter auf ein Topergebnis gilt in Schweden auf jeden Fall Mikko Hirvonen. Der Ford Fiesta RS WRC-Pilot hat sich ebenfalls zweimal in die Siegerliste dieses WM-Laufs eingetragen. Ein dritter Erfolg würde seiner Karriere nach der Rückkehr zu Michelin Partner M-Sport wieder den ersehnten Schwung verleihen. Dabei muss auch der finnische Routinier ein waches Auge auf seine Markenkollegen haben: Elfyn Evans, 25-jähriges Nachwuchstalent aus Wales, hat bei der Rallye Monte Carlo trotz schwieriger Bedingungen mit hohem Speed und großer Reife aufhorchen lassen. Noch vielversprechender aber war die Vorstellung, die Robert Kubica mit seinem Fiesta abgeliefert hat. Dass dem Ex-Formel 1-Piloten jegliche Überraschung zugetraut werden darf, daran zweifelt seither niemand mehr.

Auf den Heimvorteil zahlt auch Mads Östberg ein. Der Norweger, in diesem Jahr erstmals mit dem Michelin bereiften Citroën DS3 WRC unterwegs, fühlt sich auf Schnee ebenso wohl wie auf Eis und will dies nun auch mit einem vorzeigbaren WM-Ergebnis unterstreichen. Im zweiten DS3 des Werksteams feiert Kris Meeke im Alter von 34 Jahren seine Schweden-Premiere.

Weiterhin eine unbekannte Größe ist der neue i20 WRC von Rallye-WM-Neueinsteiger Hyundai Motorsport – das Debüt bei der "Monte" verlief zwar vielversprechend, aber kurz. Nach dem Ausritt des amtierenden Vize-Champions Thierry Neuville gehen die Lichter im fränkischen Workshop kaum noch aus, um einen neuen Turbo-Allradler für den deutschsprachigen Belgier aufzubauen. Das zweite Auto des südkoreanischen Michelin Partners aus Alzenau pilotiert mit Juho Hänninen ein weiteres Toptalent aus Finnland. Der 32-Jährige aus Punkaharju fuhr im Vorjahr in Schweden immerhin auf Rang sechs.

Frühstart: Wegen Olympia beginnt Rallye Schweden bereits am Mittwoch

24 Wertungsprüfungen über eine Gesamtlänge von 323,54 Kilometer: Der schwedische WM-Lauf bietet Fahrern wie Fans reichlich Action. Die beginnt ausnahmsweise bereits am Mittwoch (5. Februar) mit der sogenannten Super Special Stage in Karlstad, um dem Auftakt der Winter-Olympiade in Sotschi aus dem Weg zu gehen. Für Dramatik sollte auf dem 1,9 Kilometer langen Kurs gesorgt sein, immerhin dürfen sich die drei Schnellsten hier über bis zu drei WM-Extrapunkte freuen.

So richtig los geht es dann am Donnerstag, wenn sechs WP über insgesamt 62,02 Kilometer auf dem Programm stehen – einige davon beim westlichen Nachbarn Norwegen. Freitag und Samstag gastiert die Rallye dann südlich des Service-Parcs von Hagfors. Zu den Highlights zählen die Passagen über die WP 19 und 23, "Vargasen", mit "Colin's Crest". Die Sprungkuppe, auf der die besten World Rally Cars zu Flügen von 35 Metern und weiter ansetzen, erinnert an den legendären Rallye-Piloten Colin McRae.

Die Zeiten der großen Materialschlachten sind aus Reifensicht in der Rallye-Weltmeisterschaft vorbei: Gerademal 24 X-Ice North 2-Pneus dürfen die Partner von Michelin pro Auto für die 323,54 WP-Kilometer des schwedischen WM-Laufs einsetzen. Hinzu kommt ein weiterer Satz für den sogenannten Shake-down. Die französische Premiummarke bringt insgesamt 740 Reifen mit vier Sattelschleppern nach Hagfors, wo 14 Mitarbeiter für die Betreuung der Werksteams bereitstehen. Die Montierstraße und das Lager befinden sich übrigens in einem beheizten 400-Quadratmeter-Zelt – bei Außentemperaturen, die auf bis zu minus 25 Grad Celsium fallen können, eine immense Arbeitserleichterung.

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