Dakarsieg für Volkswagen
Mit Carlos Sainz/Lucas Cruz (E/E), Nasser Al-Attiyah/Timo Gottschalk (Q/D) und Mark
Miller/Ralph Pitchford (USA/ZA) errang Volkswagen einen Dreifachsieg. Die
Vorjahressieger Giniel de Villiers/Dirk von Zitzewitz (ZA/D) komplettierten die
geschlossene Teamleistung in einem vierten Race Touareg auf Rang sieben. An der
Spitze des „Dakar“-Projektes von Volkswagen steht Motorsport-Direktor Kris Nissen. Ein
Interview mit dem 49-Jährigen Dänen über Erfolgsgeheimnisse, Strategien und
Fahrerpersönlichkeiten.
Zwei "Dakar"-Sieger wie Pol und Gegenpol: Das Volkswagen Werksduo Carlos Sainz und Lucas Cruz ergänzt sich innerhalb und außerhalb des Cockpits zu einer starken, heterogenen Einheit. Die beiden Spanier – der Fahrer emotional und temperamentvoll, der Beifahrer in sich ruhend und akribisch – holten erstmals in der Geschichte der Rallye Dakar die Trophäe in ihre Heimat. Gemeinsam mit ihren Teamkollegen Nasser Al-Attiyah/Timo Gottschalk sowie Mark Miller/Ralph Pitchford sicherten sie Volkswagen bei der größten Herausforderung im weltweiten Rallyesport einen Dreifachsieg. In Argentinien und Chile gelang der Wolfsburger Marke damit die erfolgreiche Titelverteidigung, nachdem 2009 mit dem Race Touareg erstmals ein Automobil mit Dieselantrieb den Wüstenklassiker gewonnen hat.
Für Carlos Sainz und Lucas Cruz ging mit dem "Dakar"-Erfolg ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Vor einer begeisterten Kulisse waren die beiden Spanier die Stars von Millionen Zuschauern entlang der Rallye-Routen. "El Matador", wie Carlos Sainz von seinen Fans genannt wird, feierte 1990 und 1992 den Titel in der Rallye-Weltmeisterschaft. Mit 26 Einzelsiegen und zwei WM-Titeln blickt der 47-jährige auf eine außerordentlich erfolgreiche WRC-Karriere zurück. Elf Mal schloss er die Weltmeisterschaft auf einem der ersten drei Plätze ab. 2007 gewann er nach seinem Einstieg in den Offroad-Rallyesport den FIA Marathon-Rallye-Weltcup. Vor der "Dakar" 2010 feierte der Madrilene in 14 Offroad-Rallyes acht Podestplätze, davon vier Siege. Sein bedeutendster Erfolg bei einer Wüstenrallye aber gelang dem leidenschaftlichen Fußballer bei seiner 15. Marathon-Rallye: der lang ersehnte "Dakar"-Triumph.
Von Gegnern und Team geschätzt: Carlos Sainz
"Carlos Sainz ist unwahrscheinlich zielorientiert und arbeitet enorm strukturiert", so Volkswagen Motorsport-Direktor Kris Nissen. "Er hat viel Erfahrung von anderen Spitzenteams zu Volkswagen Motorsport gebracht. Er teilt seine Ideen und sein Know-how offen mit anderen Teamkollegen. Ich denke, jeder in der Mannschaft respektiert Carlos für sein Wesen und seine Leistung – auch wenn es für die Mechaniker und Ingenieure manchmal nicht leicht ist, permanent an die Leistungsgrenze vorangetrieben zu werden."
Mit Lucas Cruz hat Sainz seit vergangenem Jahr einen neuen Beifahrer. "Carlos ist ein wahrer Gentleman, ob im oder auch außerhalb des Cockpits", so der Katalane aus Ripollet bei Barcelona, der gemeinsam mit Sainz alle drei Einsätze im Race Touareg bisher gewann. "Er ist ein Ausnahme-Pilot und eine große Persönlichkeit. Mit ihm zusammenzuarbeiten, ist jeden Tag etwas Besonderes."
Kris Nissen: "Die Begeisterung der Fans gibt uns Recht"
War das für Sie die härteste Rallye Dakar aller Zeiten?
Kris Nissen: „Es war mit Sicherheit für die Autos und auch für die Fahrer die härteste
‚Dakar‘, die Volkswagen je bestritten hat. Ich glaube auch die Härteste, die es je gegeben
hat. Für das Team dahinter in Sachen physischer Kraftaufwendung dagegen nicht. Denn
die Mannschaft hat zuhause eine tadellose Vorbereitung absolviert, der Race Touareg hat
allen Bedingungen standgehalten und auch der Service-Plan hat perfekt funktioniert. Das
sind Gründe, warum das gesamte Team etwas weniger Stress hatte als die Jahre zuvor.
Ich glaube sogar, dass es durch die schonende Fahrweise der Fahrer und die
Zuverlässigkeit des Gesamtpakets in dieser Hinsicht die unkomplizierteste ‚Dakar‘ seit
unserem Einstieg war. Wir haben uns in den vergangenen Jahren eben permanent
weiterentwickelt.“
Welchen Erfolg empfinden Sie denn als intensiver: den Doppelsieg von 2009 oder
den Dreifacherfolg von 2010?
„Der Sieg vergangenes Jahr hat den Druck vom gesamten Team genommen, die ‚Dakar‘
zu gewinnen. Ich denke aber, dass der Wettbewerb in diesem Jahr härter war. Vor allem
durch die X-raid-BMW. Auch die Strecke war in diesem Jahr härter. Deshalb finde ich,
dass dieser Sieg noch wertvoller ist. Gerade weil unsere Fahrer bis zum Zielstrich hart um
den Gesamtsieg gekämpft haben, empfinde ich den Erfolg 2010 als den wertvolleren.“
Volkswagen ist als Titelverteidiger und Favorit ins Rennen gegangen. Inwieweit hat
das die tägliche Arbeit beeinflusst?
„Überhaupt nicht. Wir haben vor der Rallye Dakar 2009 ein Lastenheft mit allen Punkten
verfasst, die wir optimieren wollten und es konsequent abgearbeitet. Für die ‚Dakar‘ 2010
war dieses Lastenheft deutlich dünner. Das, was wir ändern wollten, haben wir bereits bei
den Vorbereitungsrallyes, der ‚Sertões‘ und der Silk-Way-Rallye, voll und ganz erprobt. Wir
waren perfekt vorbereitet. Das einzige, das wir nicht wussten, war, wie stark die
Konkurrenz war. X-raid-BMW war der erwartet starke Gegner, Robby Gordons Hummer
dagegen war nicht so stark wie gedacht. Dazu hat sich der Race Touareg als das
zuverlässigste Auto erwiesen.“
Eine Maßnahme vor der Rallye Dakar war es, zwei Fahrer/Beifahrer-Duos neu
zusammenzusetzen. Ausgerechnet diese beiden Teams haben den Sieg am Ende
knapp unter sich ausgemacht. Wie entscheidend war diese Neuausrichtung für den
Erfolg?
„Ich bin überzeugt, dass unser Neuzugang Nasser Al-Attiyah dem gesamten Team gut
getan hat. Der Wechsel von Carlos Sainz zu seinem neuen Beifahrer Lucas Cruz hat nicht
nur dank der gleichen Muttersprache viel gebracht, sondern auch für frischen Wind
gesorgt. Ich denke, der Gesamtsieg von Carlos Sainz war überfällig, denn schon 2009 war
er siegfähig und hat nur durch unglückliche Umstände die Rallye Dakar in Führung liegend
verloren. Doch in Zukunft müssen sich auch Carlos Sainz und Lucas Cruz strecken, um
gegen Nasser Al-Attiyah und Timo Gottschalk bestehen zu können.“
Volkswagen hat ganz unterschiedliche Fahrer und Beifahrer unter Vertrag, die
eigene Persönlichkeiten und spezielle Fahrstile pflegen. Ist das in der Entwicklung
des gesamten Teams eher von Vorteil oder von Nachteil?
„Für ein Team ist es bei der ‚Dakar‘ nie ratsam, nur auf einen guten Fahrer zu setzten.
Denn diese Rennen sind sehr sehr schwierig und unberechenbar. Man muss mehr als ein
Eisen im Feuer haben. Wir haben bei Volkswagen mehrere siegfähige Paarungen. Je
nach Geländetyp kann es manchmal so aussehen, als ob spezielle Fahrerpersönlichkeiten
im Vorteil sind. Doch häufig hat der tägliche Erfolg auch mit Glück und den Umständen zu
tun. Man kann die Fahrer erst im direkten Vergleich, mit gleichem Material, innerhalb eines
Teams bewerten. Insgesamt bringt aber Vielfalt ein Werksteam wie Volkswagen voran.“
Volkswagen hat bei der „Dakar“ 2010 eines der spannendsten Duelle der Geschichte
zugelassen. Wie wichtig war Volkswagen ein fairer Kampf um das
Gesamtklassement?
„Wir haben nicht nur das Rennen gewonnen, sondern auch das Rennen gemacht. Ich
glaube trotzdem, dass man erst die ‚Dakar‘ bezwingen muss, bevor man sie gewinnen
kann. Das haben wir im Vorfeld gewusst. Im Verlauf hat sich erst ein Volkswagen Trio an
der Spitze mit mehr als zwei Stunden Vorsprung etabliert, dann hat sich ein Zweikampf mit
Nasser Al-Attiyah und Carlos Sainz herauskristallisiert. Doch man kann eine ‚Dakar‘ nicht
vorausplanen und Siege einkalkulieren. Deswegen bin ich klar der Meinung, dass die
Entscheidung, jedem Fahrer die Chance auf den Sieg zu lassen, die richtige war. Für das
Team. Und auch für die Rallye selbst. Ich denke die Begeisterung der Fans gibt uns
Recht.“
Wie kann man als Motorsport-Direktor trotz dreier Siegkandidaten mit einem starken
Willen zum Sieg das Risiko für die Marke minimieren?
„Wir sind ein gestandenes Team. Jeder Fahrer hat im Verlauf der vergangenen Jahre
Fehler gemacht und daraus gelernt. Alle Fahrer haben unser ‚Dakar‘-Motto ‚To finish first,
first you have to finish‘ jeden Tag neu bedacht und umgesetzt. Das ist der Schlüssel bei
der Rallye Dakar: Einen schlechten Tag kann man nicht wieder aufholen.“
Der Race Touareg hat bei der „Dakar“ 2010 die meisten Etappensiege auf dem
Konto und hat sich zudem als das zuverlässigste Fahrzeug im Feld erwiesen.
Welcher dieser Punkte war Ihrer Meinung nach für den Gesamtsieg
ausschlaggebend?
„Ganz klar: Man kann eine ‚Dakar‘ nur gewinnen, wenn man ein standfestes Auto hat, das
schnell genug ist und man Fahrer hat, die damit umgehen können. Man muss nicht jede
Etappe gewinnen, um am Ende vorn zu sein. Man hat dieses Jahr bei dieser starken
Leistungsdichte gesehen, dass es immer von Nachteil ist, als Vortagessieger als erstes
Fahrzeug auf die Strecke zu gehen. Ein Schlüssel zum Erfolg von Carlos Sainz und Lucas
Cruz war es, jeden Tag eine gute Etappe zu haben, jedoch nicht zwingend gewinnen zu
müssen.“
Volkswagen verfügt über eine extrem eingespielte Truppe und hat über die Jahre an
der Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte gearbeitet. Welchen Anteil hat das
am Gesamtkunstwerk „Dakar“-Sieg?
„Kein Mensch und kein Team kann soviel Glück haben, die ‚Dakar‘ einfach so zu
gewinnen. Deshalb ist es enorm wichtig, dass die einzelnen Räder im Getriebe einer
Mannschaft perfekt ineinandergreifen. Ich habe zusammen mit dem Team lange daran
gearbeitet, die Abläufe zu optimieren, Prozesse einzuhalten und jeden Tag ein bisschen
besser zu werden. Ein Team ist wie eine Kette. Wenn es ein schwaches Glied gibt, dann
muss man es gemeinsam stärken. Denn wenn es bricht, hat man ein Problem. Ich denke,
das haben wir in den vergangenen Jahren perfekt umgesetzt.“
Viele Kritiker sind der Meinung, dass eine „Dakar“ auf dem afrikanischen Kontinent
stattfinden muss. Wie bewerten Sie die beiden zurückliegenden Südamerika-
„Dakars“?
„In erster Linie ist ‚Dakar‘ mehr ein Begriff als eine Ortsangabe. Wenn man die Historie der
Rallye betrachtet, dann gab es schon einige Ausgaben, die keinen Start oder keinen
Zieleinlauf in Dakar hatten. Eine ‚Dakar‘ gehört in ein Gebiet, wo es organisatorische
Sicherheit gibt und ein herausforderndes Gelände. Wenn darüber hinaus dort auch ein
großer Markt für die Hersteller gibt, dann ist das ein Bonus. Doch das wichtigste sind die
ersten beiden Faktoren. Das findet man derzeit in Afrika nicht vor. Ich finde, die ‚Dakar‘
gehört in Länder wie Argentinien, Chile, Brasilien, Amerika, China, Russland oder Indien.
Die beiden vergangenen ‚Dakars‘ in Südamerika haben bewiesen, dass die Prüfungen
genauso hart oder noch härter sind als in Afrika. Mehr braucht es nicht.“
Die Rallye Dakar im TV
17. Januar 18:45–19:03 Uhr RTL RTL aktuell
20:20–20:30 Uhr Eurosport Zusammenfassung Rallye Dakar 2010
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